Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Infotafel und Portrait-Stele | © Florian Froese-Peeck

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Orientierungstafel | © Florian Froese-Peeck

Einweihung des Erinnerungsortes NS-Zwangsarbeit in der Flachsröste Lohhof 

PRESSEINFORMATIONEN 

Donnerstag, 21. September 2023 | 11 Uhr
Foyer der Berufs- und Fachoberschule Unterschleißheim, Südliche Ingolstädter Straße 1

Erinnerungsort NS-Zwangsarbeit in der Flachsröste Lohhof – Team: 

Auslobung Kulturamt der Stadt Unterschleißheim | Gesamtprojektleitung Daniela Benker
Konzept, Beratung und Texte Dr. Maximilian Strnad | Künstlerische Gestaltung Kirsten Zeitz | Bauseitige Projektleitung Bauamt der Stadt Unterschleißheim, Marco Kahlert | Koordination Kunst im öffentlichen Raum und Ausschreibung Florian Froese-Peeck | Grafische Gestaltung Ruth Dieckmann Design

Es ist heute nur noch wenigen Menschen bekannt, dass in Lohhof eine Flachsröste stand, bei der in der NS-Zeit vor allem jüdische Zwangsarbeiter*innen beschäftigt waren. Die Künstlerin Kirsten Zeitz und der Historiker Dr. Maximilian Strnad haben im Auftrag der Stadt Unterschleißheim einen dreiteiligen Erinnerungsort geschaffen, um die Leidensgeschichte der Zwangsarbeiter*innen bei der Flachsröste Lohhof wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Vom Denkmal am S-Bahnhof Lohhof führt der Weg der Erinnerung die Besucher*innen bis zum virtuellen Lernort in Sichtweite des früheren Areals der Flachsröste. 

Kirsten Zeitz setzt bei der Materialität auf Gegensätze: Das wiederkehrende Motiv des blauen Leins, aus dem der Flachs gewonnen wird, steht den Skulpturen aus Stahl und Beton gegenüber, die auf Fotografien der Zwangsarbeiter*innen basieren. In Stahlplatten gehämmerte Namen von Frauen und Männern, die in der Flachsröste Zwangsarbeit leisten mussten, säumen den Weg der Erinnerung. Informationspulte am Denkmal, die Mixed Reality Experience am digitalen Lernort sowie die Homepage bieten vertiefende Informationen zur Geschichte des Ortes und zu den Schicksalen der Zwangsarbeiter*innen. 

Bürgermeister Christoph Böck ist sich der Bedeutung des Projektes bewusst: „Mit dem neuen Erinnerungsort NS-Zwangsarbeit in der Flachsröste Lohhof setzen wir einen wichtigen Akzent für einen verantwortungsvollen Umgang mit der NS-Vergangenheit unserer Stadt. Das Denkmal soll in erster Linie an das Leid jener Menschen erinnern, die nach Lohhof verschleppt und dort ausgebeutet wurden. Gerade heute, wo auch bei uns leider antisemitische und rassistische Töne immer lauter werden, machen ihre Leidensgeschichten uns zugleich deutlich, welche schreckliche Konsequenzen es hat, wenn wir unsere Demokratie nicht aktiv verteidigen«.

Das Denkmal am S-Bahnhof Lohhof markiert den Ort, an dem täglich die jüdischen Zwangsarbeiter*innen aus München ankamen. Nur ein Teil von ihnen waren in Baracken auf dem Betriebsgelände untergebracht. Das Denkmal besteht aus sieben Porträtstelen und vier Feldern aus Lein sowie drei Pulten, auf denen der historische Kontext erläutert wird. Von dort führt der Weg der Erinnerung bis zum wenige Minuten entfernten digitalen Lernort. Der Weg der Erinnerung ist durch flachsblaue Betonblüten sowie ein Namensband gekennzeichnet, das in das Trottoir eingelassen ist. Auf dem Namensband sind die Namen jener 350 Zwangsarbeiter*innen eingehämmert, deren Namen recherchiert werden konnten. Manche Elemente bleiben leer, sie dienen als Platzhalter für die bis heute unbekannten Zwangsarbeiter*innen. In Sichtweite des ehemaligen Geländes der Flachsröste Lohhof, auf dem heute noch Teile der Fabrikgebäude zu sehen sind, befindet sich in einem begehbaren Flachsfeld an der Ecke Carl-von Linde-/Johann-Kotschwara-Straße der virtuelle Lernort. »Historische Orte sind wie eine Brücke in die Vergangenheit. Wir haben uns entschieden, diese Funktion zu nutzen. Die Besucher*innen scannen vor Ort mit ihrem Handy einen QR-Code und betreten dann eine virtuelle Rekonstruktion der Flachsröste Lohhof in der NS-Zeit. Dort erhalten sie Informationen zur Geschichte, entdecken historische Fotos und erfahren mehr über das Leben der Betroffenen«, sagt der Historiker Dr. Maximilian Strnad. 

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Infotafel und Portrait-Stele | © Florian Froese-Peeck

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Orientierungstafel | © Florian Froese-Peeck

«Kirsten Zeitz: Flachsblaue Betonblüten, Porträtstelen, Namensband 

Die Stadt Unterschleißheim hat 2018 einen Wettbewerb für die Realisierung des dreiteiligen Denkmalkonzepts von Dr. Maximilian Strnad ausgeschrieben, den die deutsch-amerikanische Künstlerin Kirsten Zeitz für sich entscheiden konnte. 

Das Werk von Kirsten Zeitz ist sowohl eine Hommage an die Zwangsarbeiter*innen der Flachröste Lohhof als auch Ausdruck ihrer künstlerische Widerständigkeit mit der sie gegen das Vergessen und für eine kontinuierliche Aktualisierung der Vergangenheit arbeitet. Dabei setzt sie auf Gegensätze: Die filigrane Schönheit des Leins und die zarten Linien der Porträtsilhouetten stellt sie dem rohen und brachialen Charakter, der von ihr verwendeten Materialien Beton und Stahl gegenüber und baut so ein Spannungsfeld zwischen den NS-Verbrechen und der Empathie auf, die sie dem Leid der Zwangsarbeiter*innen entgegenbringt. 

Kirsten Zeitz will mit ihrer Arbeit die Verbrechen mit allen Sinnen erfahrbar machen und dabei zeigen, dass die Zwangsarbeiter*innen jenseits ihres Schicksals als Verfolgte auch Individuen waren: »Ich habe mir Arbeitsprozesse ausgesucht, die mir eine Annäherung an die Menschen und ihr Schicksal ermöglichen. So habe ich ihre Vor- und Nachnamen eigenhändig in die Stahlplatten gehämmert und mir dabei viel Ruhe und Zeit genommen. Durch meine Arbeit möchte ich dazu beitragen, ihre Geschichte Buchstabe für Buchstabe wieder in unser aller Bewusstsein zurückzubringen.« 

Die Porträtskulpturen in menschlicher Größe verorten die Zwangsarbeiter*innen sinnbildlich erneut in Lohhof – fünf Porträtskulpturen sind umgeben von Lein, wie die Frauen und Männer einst umgeben waren von der Zwangsarbeit und ausgegrenzt von der restlichen Gesellschaft. Zwei Porträtskulpturen sind freistehend, von den Besucher*innen als ein ebenbürtiges Gegenüber zu erfassen. Die Porträtsilhouetten bestehen aus Linien und Fragmenten. Die Linien sind aus den überlieferten Passfotos verschiedener Zwangsarbeiter*innen herausgelöst, ein Ansatz, den die Künstlerin auch schon in früheren Werken verfolgt hat. 

Erinnerungsarbeit rund um das neue Denkmal 

Der Erinnerungsort NS-Zwangsarbeit in der Flachsröste Lohhof erhält einen modernen Internetauftritt. Die Website bietet Einblicke in Konzept und Entstehung des Denkmals, zugleich wird dort der historische Kontext erklärt. Kern der Homepage ist ein Onlinegedenkbuch, in dem alle Zwangsarbeiter*innen der Flachsröste Lohhof aufgeführt sind. Hierzu hat die Stadt Unterschleißheim eine Kooperation mit der Landeshauptstadt München geschlossen, denn die Informationen dazu kommen aus der Datenbank von Public History im Kulturreferat. 

Diese Biografien stellen auch den Kern der pädagogischen Arbeit rund um den neuen Erinnerungsort dar. In den letzten Jahren haben sich bereits mehrere Schulklassen mit der Geschichte der Flachsröste Lohhof befasst. Künftig wird der Erinnerungsort vom Stadtmuseum Unterschleißheim betreut. Dort verfolgt man das Ziel, die partizipative Erinnerungsarbeit weiter auszubauen, wie die Leiterin des Unterschleißheimer Forums Daniela Benker betont: »Der Erinnerungsort ist für uns eine große Chance, die Auswirkungen der NS-Verfolgung am konkreten Beispiel zu zeigen. Die Projekte, die wir an unserem neuen Stadtmuseum dazu planen, orientieren sich dabei an den Erfahrungen der Betroffenen. Gerade junge Menschen verstehen durch den Zugang über persönliche und lokale Geschichten schnell, dass es zwischen den 80 Jahre zurückliegenden Ereignissen und ihrem heutigen Leben Parallelen gibt, aus denen sie lernen können.« 

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Orientierungstafel | © Florian Froese-Peeck

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Orientierungstafel | © Florian Froese-Peeck

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Namensband | © Florian-Froese-Peeck

Erinnerungsort Flachsröste | Lohhof Namensband | © Florian-Froese-Peeck